In der Religionsgeschichte nahm Zentralasien mit seinen multikulturellen und multilingualen Gesellschaften als Knotenpunkt alter Zivilisationen eine bedeutende Rolle ein. Ein altes Kommunikationsnetzwerk, bekannt als die Seidenstraßen, bestimmte in einzigartiger Weise eine Dynamik des religiösen und kulturellen Austausches. Dieses ermöglichte nicht bloß den Verkehr von Gütern, sondern eben auch den Transfer von Religionen wie dem Buddhismus, dem Christentum des Ostens, dem Manichäismus und dem Islam. Seit etwa dem 6. Jahrhundert bildeten sich buddhistische Strömungen als dominantes Religionsgeflecht heraus; sie bestimmten ebenso den Transfer weiterer kultureller Aspekte. Der Islam drang ab dem 10./11. Jahrhundert allmählich in das östliche Zentralasien vor und verdrängte bis in die Mitte des zweiten Jahrtausends schließlich die Vormachtstellung des Buddhismus, während in Tibet der Buddhismus bis heute das dominierende Religionsgeflecht ist.
Die geografische Region, die wir als Zentralasien bezeichnen, erstreckt sich vom Pamir-Gebirge im Westen bis zur Wüste Gobi im Osten und vom Altai-Gebirge im Norden bis zum Himalaya-Gebirge im Süden. Damit schließt der Raum im Osten an den chinesischen, im Süden an den indischen und im Westen an den persischen Kulturraum an.
Der Lehrstuhl Religionen Zentralasiens in Vergangenheit und Gegenwart am CERES umfasst zwei Schwerpunkte: Tibetische und zentralasiatische (einschließlich altuigurischer) Religionsgeschichte. Die tibetische Religionsgeschichte, mit Fokus auf dem Buddhismus, reicht von ihrer Entstehung zur Zeit des tibetischen Großkönigreiches im 7. Jahrhundert bis hin zu gegenwärtigen Entwicklungen. Die zentralasiatische Religionsgeschichte befasst sich mehr mit der Kontaktdimensionen des Buddhismus mit dem Manichäismus und dem Christentum des Ostens zwischen dem 6. und 14. Jahrhundert. Dabei werden auch die Religionen im Westuigurischen Königreich, in der Turfan-Oase betrachtet. Wenngleich die beiden Schwerpunkte hauptsächlich philologisch ausgerichtet sind und sich mit Quellen in verschiedenen Sprachen (Tibetisch, Chinesisch und Altuigurisch) befassen, wird auch die reiche visuelle Kultur mit berücksichtigt. Weitere Zugänge ergeben sich über Transversalthemen.
Durch die Betonung eines breiten philologischen Ansatzes vermitteln unsere Kurse ein grundlegendes Verständnis der Religionsgeschichte Tibets und Zentralasiens in Vergangenheit und Gegenwart.