Workshop

Tryphe und Kultritual im archaischen Kleinasien

Die Konzeption dieser Tagung hat sich aus der Anregung der IKGF=KHK-Veranstaltungen zum Themenbereich ‚Attraktivität’ entwickelt, und zwar in gemeinsamen Überlegungen mit Dr. Christoph Michels, dem damaligen postdoc-Mitarbeiter im IKGF (inzwischen Aachen). Es sollte – anders als bei den anderen workshops zur ‚Attractivity’ – dezidiert der Fokus ganz auf einen einzigen geographischen und zugleich chronologischen Raum gerichtet werden, nämlich auf das archaische Kleinasien als eine zentrale kulturelle Kontaktzone. Ein interdisziplinärer Zugriff ist auch hier unerlässlich, es wurde durch die Beteiligung von Sprachwissenschaftlern (Semitistik, Anatolistik), Klassischen Archäologen und (Alt)historikern eine glückliche Mischung erreicht.

Das Programm war in drei Abteilungen gegliedert, in denen zunächst „Paian und Prozession“, dann „Feste und Gelage“ und schließlich „Heiligtum und Opfergaben“ thematisiert und diskutiert wurden. Die beiden ersten Abschnitte fanden am Donnerstag, 10.12.09 statt, die Sektion  „Heiligtum und Opfergaben“ füllte den Vormittag des folgendenTages (Freitag, 11.12.09).

Der für ein Referat über „Hymnen, Paiane, Prosodien. Anmerkungen zu einer Typologie von Kultliedern im Kult des Apollon und verwandter Götter“ vorgesehene Referent, Prof. Dr. Lutz Käppel aus Kiel, musste bedauerlicherweise kurzfristig absagen, so dass sich die beiden ersten Vorträge des workshops vornehmlich mit Prozessionen beschäftigten: Frau Privatdozentin Dr. Eftychia Stavrianopoulou aus Heidelberg, Forscherin im dortigen Exzellenzcluster zu Ritualen, spannte in ihrem Referat „Zur rituellen Funktion von Prozessionen“ einen weiten Bogen über die archaische bis zur hellenistischen Zeit, in welcher die Quellenzeugnisse, insbesondere die epigraphischen, reichlicher sprudeln als für die Frühzeit; auch griff die Referentin Beispiele aus dem griechischen Mutterland zum Vergleich mit den kleinasiatischen Gegebenheiten auf.

Dagegen bot Linda-Marie Günther (RUB) mit dem „‚Stadtfest’ des Thrasybulos“ ein einziges Fallbeispiel aus dem ionischen Milet, für das es nur einen kurzen und zum Teil unklaren literarischen Bericht bei Herodot gibt; sie zeigte indessen auf, dass das geschilderte Gelage auf dem Marktplatz bei Milet, das der Tyrann um 600 v. Chr. zur Beeindruckung lydischer  Gesandter veranstaltete, von zwei Prozessionen umrahmt wurde und dass es sich um ein übliches Jahresfest gehandelt haben muss.

Die folgende Sektion zu „Feste und Gelage“ wurde mit drei Referaten ausgestaltet, beginnend mit einer kulturgeschichtliche spannenden Darstellung der „Gelagekultur und ihre orientalisierende Elemente“ bei den Lydern von Prof. Dr. Erich Kistler, damaliger Lehrstuhl-inhaber für Klassische Archäologie in Bochum. Er skizzierte die spezifischen Formen des lydischen Gastmähler und die typische Bekleidung der vornehmen ‚Trinker’, aufgrund derer in der griechischen Nachbarschaft, auch noch in späterer Zeit, die Lyder für sprichwörtlich dem Luxus ergeben und total verweichlicht bewertet wurden.

Wie um 700 die einheimischen Karer feierten, konnte der Bochumer Archäologe Prof. Dr. Hans Lohmann anhand seiner neuesten Grabungsfunde in Melie im Mykalegebirge zeigen:

„Der Festraum im Kultbau von Melie“ bietet ein frühes und instruktives Beispiel für Bankettarchitektur respektive Tempelarchitektur. Mit Gefäßen, wie sie bei Banketten benötigt wurden, beschäftigte sich Frau cand.phil Katja Burgemeister (Bochum) aus dem Kontext ihres Dissertationsprojekts über Weinproduktion und Weinhandel: Unter dem Titel „Chiische Chalikes: Wein und Ritual“ behandelte sie einen charakteristisches Trinkgefäß aus Chios, der vor der kleinasiatischen Küste liegenden ionischen Insel, die für ihren exzellenten Wein seit archaischer Zeit weithin bekannt war. Chalikes wie auch sonst Trinkgefäße gehörten stets zu Weihgaben in Heiligtümern, so dass dieses Referat bereits zum Thema der umfangreichen Sektion am Folgetag überleitete.

Am Freitag früh präsentierte zunächst der KHK-Fellow Dr. Paolo Filigheddu (Sassari) ein Referat, das mit seiner aktuellen Forschungsarbeit zu Astarte bekannt machte: „Tempel-prostitution in Heiligtümern der Astarte“. Ausgangspunkt war die Überlegung, inwiefern die ‚Hierodulen’ mit ihren Liebesdiensten der Göttin eine Opfergabe darbrachten bzw. inwiefern die Besucher solcher Heiligtümer als ‚Kunden’ der sog. Tempelprostituierten mit ihrer Bezahlung die Opferbringer waren. Anhand einer minutiösen philologischen Darlegung zeigte der renommierte Semitist, dass die bisherigen Quellenzeugnisse und unser Verständnis der einschlägigen Texte insbesondere für das Astarte/Aphrodite-Heiligtum in Paphos nicht hinreichen, eine ‚Tempelprostitution’ zu rekonstruieren.

Noch tiefer in den Bereich der orientalischen Götter und ihrer Verehrung führte anschließend Dr. Francis Breyer (Basel/Berlin) ein, indem er „Hethitisch-agäische Götter und Kultur-kontakte“ skizzierte und damit Kleinasien über Nordostanatolien hinaus als Kontakt- und Transferzone analysierte.

Mit den Beziehungen nichtgriechischer Dedikanten in archaischen Heiligtümern in Ionien schäftigten sich die beiden abschließenden Vorträge, wobei Frau Prof. Dr. Helga Bumke (Bonn, inzwischen Bochum) als Beispiel ihrer detaillierten Vorstellung „Fremde(r) Votive oder fremde(r) Dedikanten in Ionischen Heiligtümern“ vornehmlich das Heraheiligtum auf der Insel Samos wählte, Dr. Christoph Michels (Aachen) beschäftigte sich dagegen in erster Linie mit dem Apollonheiligtum zu Didyma, das von den Lyderkönigen, namentlich Kroisos, reich bedacht worden war. Hierzu berichten die antiken Quellen eindeutig, wer Geber und was die Gaben waren, während Frau Bumke ihren Beitrag sehr zu Recht mit einem Fragezeichen versehen hatte, denn es bleibt anhand der ‚exotischen’ Votive in jedem Einzelfall neu zu überlegen, ob die Dedikanten Fremde oder Griechen waren, die wertvolle Gaben aus dem fernen Ägypten der Hera zu Samos weihten.

Eine lebhafte Abschlussdiskussion beendet die Tagung, eine Publikation der meisten Beiträge (außer denjenigen von Herrn Käppel und Frau Stavrianopoulou) ist im Verlag Harrassowitz (Wiesbaden) in Vorbereitung und soll noch im Laufe des Jahres 2011 realisiert werden.

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