Die Entwicklung von Aspekt im Mittelpersischen

Iranische Sprachen weisen in der Regel Aspekt als eine morphologisch markierte Verbalkategorie auf. Im Altiranischen lassen sich verbale Aspektstämme erkennen, während die meisten neuiranischen Sprachen Aspekt sekundär durch Affixe zum Ausdruck bringen. Allein für das Mitteliranische (ca. 3. Jh. v. Chr. bis 7. Jh. n. Chr.) wird Aspekt nicht angesetzt. Morphologische Hinweise werden als stilistische Varianten hinwegerklärt und die zwei Kernformen des mitteliranischen Verbalsystems, das Präsens und das Präteritum, rein temporal interpretiert.Dabei deuten mehrere Merkmale auf einen aspektuellen Gebrauch von Präsens und Präteritum hin:

  1. Das Präsens lässt sich auf einen Formenzusammenfall von altiranischem Präsens und Imperfekt (Imperfektiv der Gegenwart bzw. Vergangenheit) zurückführen. Daneben weisen die frühsten mittelpersischen Texte Reste altiranischer Imperfektformen auf und das Präsens wird sowohl in der Gegenwart als auch der Vergangenheit verwendet, bisweilen im abrupten Wechsel mit Präteritalformen (was gegen eine stilistische Deutung als historisches Präsens spricht).
  2. Das Präteritum geht auf das in altiranischer Zeit entstandene analytische Perfekt zurück, das bereits im Altpersischen Funktionen von Perfekt und Aorist (Perfektiv) übernahm. Im Mittelpersischen wird das Präteritum auch für die Gegenwart und Zukunft verwendet. Im Falle der Gegenwart (Perfektiv Präsens) handelt es sich um den Koinzidenzfall, den Abschluss eines Ereignisses zum Moment seiner Äußerung (paraphrasiert durch z. B. „hiermit beginnt die Hymne“).
  3. Neuiranische Sprachen führen entweder das altiranische Aspektsystem fort (Hawrami) oder weisen aspektuelle Verwendung von Präsens als Imperfektiv und Präteritum als Perfektiv auf (Pamirsprachen). Die morphologische Entwicklung der neuiranischen Sprachen lässt sich am ehesten auf ein mitteliranisches Aspektsystem zurückführen. Die traditionelle Deutung von Präsens und Präteritum als reine Tempusformen rührt von der Situation in den meisten neuiranischen Sprachen, in denen der Präsensstamm als Nichtvergangenheit und das Präteritum als Basis aller Vergangenheitstempora gebraucht wird. Das bedeutet, dass sich in diesen Sprachen die Aspektstämme in Tempusstämme gewandelt haben.

Das Projekt soll die Existenz von Aspekt im Mittelpersischen belegen und die Entwicklung dieser Kategorie nachzeichnen: die Umdeutung der Verbstämme sowie den Aufbau sekundärer Aspektmarker. Der Vergleich mit Nachbarsprachen klärt die Frage der Motivation der Entwicklung (bereits im Sprachsystem angelegt, durch Kontakt angeregt oder unabhängig vollzogen).Das Ergebnis stellt ein einmaliges Beispiel für die Grammatikalisierungstheorie und die vergleichende Sprachwissenschaft dar. Es wird Hinweise auf die Motivation paralleler Entwicklung in Nachbarsprachen geben (verwandten wie den indischen Sprachen oder Kontaktsprachen wie dem Aramäischen) und für neuiranische Sprachen ohne geschichtliche Zeugnisse einen wichtigen Bezugspunkt liefern.

Förderzeitraum

07.2019 – 06.2022

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