
Wenn eine Studentin religiöse Atmosphären in Japan erkundet
Lara Seegers Erfahrungsbericht aus erster Hand:
Ich habe als wissenschaftliche Mitarbeiterin für das am CERES ansässige Forschungsprojekt RelSAT gearbeitet und bin Studentin der Fakultät für Ostasienwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. In meinem Studium konzentriere ich mich auf Japan. Da es in diesen beiden Bereichen viele Überschneidungen gibt, habe ich mich entschlossen, mich für das Studienprogramm „Ise und die Welt“ an der Kogakkan-Universität im Jahr 2025 zu bewerben, um meine Studien fortzusetzen.
Durch das Beten im Ise Jingu Naiku (伊勢神宮内宮), dem wichtigsten Gebäude des Schreinkomplexes, in dem die berühmte Kami Amaterasu untergebracht ist, ergab sich die besonders seltene Gelegenheit, ein wichtiges religiöses Ritual zu beobachten. Normalerweise bleibt der Bereich gewöhnlichen Besucher*innen vorenthalten – Selbst Japaner*innen haben hierzu normalerweise keinen Zutritt. Unser Schreinführer, Herr Otawa, war sehr sachkundig und beantwortete unsere Fragen geduldig. Es ergaben sich zahlreiche Gelegenheiten, unsere Forschungsthemen miteinander zu diskutieren, neue Perspektiven für zukünftige Forschungsvorhaben auszumachen und Netzwerkarbeit zu betreiben, um in Zukunft beispielsweise gut an Forschungsmaterial gelangen zu können.
Es war beeindruckend zu sehen, wie die Schreinmitarbeitgenden nicht nur besonders darauf achteten, die Atmosphäre in dem Raum und um ihn herum zu bewahren, sondern auch zu schaffen. Um das strenge und naturverbundene Gefühl des Ise-Schreins zu bewahren, wird auch der gesamte Wald in den umliegenden Bergen gepflegt und moderne Materialien sind kaum zu sehen. Selbst die Feuerlöscher waren in Holzkisten versteckt und der beheizte Fußboden, auf dem wir vor dem Gebet Platz nehmen durften, war mit traditionellen Tatami-Matten bedeckt. Diese Atmosphäre übertrug sich direkt auf jeden, der das Schreingelände betrat, und beeinflusst das Verhalten der Besucher. Es war erstaunlich zu sehen, dass selbst Kinder während ihres Aufenthalts langsam gehen oder ihre Stimmen zurückhalten. Die Menschen hörten unmittelbar auf zu hetzen und achten darauf, eine Atmosphäre der Würde und des Respekts zu wahren – auch wenn der Schrein wie ein gewöhnlicher Schrein aussieht, machen ihn seine Geschichte und seine politische, mythologische und religiöse Bedeutung zu einem besonders bedeutenden und heiligen Ort.
Die Teilnahme an dem dreiwöchigen Programm vom 16. Februar bis zum 23. März war eine sehr wertvolle Erfahrung. Das Programm umfasste die Finanzierung des Fluges und der Unterkunft sowie an einigen Tagen auch die Verpflegung. Im Gegenzug berichteten alle Teilnehmenden täglich auf Instagram über das Programm und verpflichteten sich, ihre Beiträge für einen festgelegten Zeitraum online verfügbar zu halten. Der Tagesablauf war vorstrukturiert: Auf die vormittäglichen Vorlesungen auf Japanisch folgten an den meisten Tagen Exkursionen zu wichtigen religiösen und kulturellen Stätten. Das Programm war mit Tagesausflügen und Aufgaben zwar recht straff organisiert, aber die Mühe hat sich gelohnt, da es uns viele besondere Erfahrungen bot.
Die anderen Teilnehmer machten dieses Programm zu einer sehr bereichernden Erfahrung, da ich viel von Menschen aus anderen Ländern lernen konnte. Die Kombination aus Unterricht am Vormittag und Exkursionen am Nachmittag eröffnete uns ein deutlich tieferes Verständnis für die Studieninhalte, als es reiner Unterricht vermocht hätte. Da es viele Dinge gibt, die man nur hier lernen kann, bot sich mir auch eine gute Gelegenheit, meine eigenen Forschungen voranzutreiben.
Da ich mich in meinen Studien auf die Atmosphäre in Schreinen konzentriere, hat mir dieses Programm sehr weitergeholfen, da ich Schreine besuchen und Einblicke von den Menschen gewinnen konnte, die dort während und außerhalb von Ritualen arbeiten. Persönlich habe ich auch die längeren Ausflüge zu den drei wichtigsten Stätten der Kumano-Pilgerroute sehr genossen, einem Weg durch Westjapan, der von vielen Menschen frequentiert wird, die spirituelle Erfahrungen suchen.
Ich konnte nicht nur am wichtigsten nationalen Schrein, Ise Jingu, forschen, sondern auch an wichtigen Schreinen im Pilgergebiet Kumano Kodo, Kumano Hayatama Taisha, Nachi Taisha und Hongu Taisha. Es war anstrengend, aber sehr interessant, diese religiösen, historischen Stätten fernab der größeren Städte zu sehen.
Bild im Text: Ise Jingu, der kaiserliche Schrein in der Präfektur Mie, Japan (©Lara Seeger)
- Religious Space, Atmospheres and the Transcendent (RelSAT) ist ein von der DFG gefördertes Verbundprojekt, das sich mit religiösen Räumen in Japan und ihrer Atmosphäre befasst. Weitere Informationen zu RelSAT finden Sie hier: https://ceres.rub.de/en/research/projects/RelSAT/
- Link zum Studienprogramm „Ise und die Welt“ der Kogakkan-Universität: 皇学館大学「伊勢」と日本スタディプログラム
- Website der Kogakkan-Universität: https://www.kogakkan-u.ac.jp/