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Interviewreihe Frauen am CERES #1: „Keine bloße Ergänzung der ‚Männergeschichte‘“

Auf den sechs Professuren, die dem Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der RUB zugeordnet sind, sind drei Frauen berufen worden. Das Verhältnis im akademischen Mittelbau beträgt fast paritätisch 23 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen zu 22 wissenschaftlichen Mitarbeitern. In der Studierendenschaft studieren mehr Studentinnen die beiden Studiengänge des CERES als ihre männliche Kommilitonen.

Gründe genug in einer neuen Interviewreihe Einblicke in den Forschungs- und Lehralltag von Professorinnen, wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Studentinnen zu geben. Den Auftakt macht dabei Jonna-Margarethe Mäder, gewissermaßen in ihrer Doppelfunktion: Einerseits als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin mit Fokus auf die jüdische Geschichte, andererseits als amtierende Gleichstellungsbeauftragte des CERES. 

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Nächstes Jahr wird ein 1700jähriges Jubiläum gefeiert. Denn so lange gibt es nachweisbar jüdisches Leben in dem Gebiet, das heute als Deutschland bekannt ist. Grund genug zu fragen, wie sich Deine Forschung in diese lange Zeitspanne verorten lässt.

Intensiv habe ich mich bisher vor allem mit Texten aus der Frühen Neuzeit beschäftigt, wobei mein primäres Interesse - jenseits konkreter Themen - immer der Untersuchung von narrativen und argumentativen Strukturen gilt: ob im internen jüdischen Diskurs oder gegenüber der Umgebungsgesellschaft. Gleichfalls bin ich sehr dankbar, seit mehreren Jahren für die Einführungsveranstaltung im Bereich Jüdische Religionsgeschichte am CERES verantwortlich zu sein, denn das sorgt dafür, dass man jenseits der eigenen Interessenschwerpunkte offen und neugierig bleibt. Das Beispiel 1700 Jahre jüdische Geschichte in Deutschland zeigt anschaulich die Herausforderungen, die sich dabei stellen. Ausgehend von dem Edikt, das Kaiser Konstantin 321 erließ, entwickelten sich schließlich einige Forschungskontroversen. Auf einem einführenden Niveau stellt sich immer die Frage, bediene ich die „Standarderzählungen“ oder vermittele ich direkt einen Eindruck von den tiefgreifenden Diskussionen, die im vorliegenden Beispiel rund um die Existenz, Bedeutung und Kontinuität einer jüdischen Gemeinde in Köln geführt werden.

Wie kann denn so ein Ansatz konkret aussehen, der auf die Erforschung narrativer oder argumentativer Strukturen gerichtet ist?

Ich stelle mir in Auseinandersetzung mit einer Zeitspanne messianischer Hoffnungen z. B. die Frage, was die Darstellung eines falschen Messias auszeichnet. Sprich über welche Möglichkeiten verfügen die Gegner eines Prätendenten bei ihrer Darstellung. Weitere Beispiele wären die Frage, wie ein Reden über Religion in einem handlungsorientierten Setting in der Frühen Neuzeit überhaupt aussehen kann oder welche narrative Funktion dem Brechen von geschlechtsspezifischen Erwartungen in Erzählungen über die antisemitische NS-Herrschaft zukommt. Der Fokus der Analyse wird nicht primär durch die Frage bestimmt, welche Aussagen sich zu den Trennlinien von Fakt und Fiktion treffen lassen, sondern er liegt darauf, welche Funktion der gewählten Darstellungsweise zukommt.

Als Gleichstellungsbeauftragte am CERES liegt Dein Fokus auf die Geschlechtergleichstellung. Welche Programme sind da erfolgreich? Und welche Maßnahmen gilt es darüber hinaus zu ergreifen? Und haben wir am CERES besondere Tricks und Tipps, Gleichstellung zu gewährleisten?

Ich denke, dass es einige Faktoren gibt, die uns die Gleichstellungsarbeit hier am CERES prinzipiell erleichtern. Zum einen haben wir einen hohen Anteil von Studierenden von weiblichen Beschäftigten , zum anderen sind die Kommunikationswege und die Wege grundsätzlich kurz. Die größte Herausforderung bei der Amtsübernahme war aus meiner Sicht, sich zunächst einmal einen Überblick zu verschaffen, welche Bereiche – auch aus Mangel an Alternativen – überhaupt mit der Gleichstellungsarbeit assoziiert werden und welche Angebote es universitätsweit gibt. Gleichfalls herausfordernd ist es sicherlich, die relevanten Informationen dann in die Studierendenschaft hereinzutragen. Unser engagierter Fachschaftsrat oder Plattformen wie die Erstsemesterveranstaltung sind dabei von großem Wert. Aus den Ausführungen geht bereits hervor, dass es aus meiner Perspektive somit vor allem zwei Wege gibt, die Gleichstellungsarbeit zu gestalten. Die unmittelbare, bedarfsorientierte Unterstützung von Studierenden, die sich an mich und meine Kolleginnen wenden und die Bereitstellung von Informationen und die Identifizierung von kompetenteren Ansprechpersonen.

Allein in NRW gibt es laut einer Datenbank knapp 900 Maßnahmen für die Geschlechtergleichstellung an Hochschulen. Trotzdem werden Professuren heute mehrheitlich mit Männern besetzt. Nur jede vierte Professur erhält eine Frau. Wie sieht die Lage in der Religionswissenschaft oder Judaistik aus?

An deutschen Universitäten, die einen Studiengang Judaistik bzw. Jüdische Studien anbieten, ist das Verhältnis nach meinem Kenntnisstand recht paritätisch. Dabei sind Junior-Professuren und außerplanmäßige Professuren eingerechnet. Aber: Diverse Untersuchungen machen deutlich, dass diese Beobachtung nicht auf das gesamte Forschungsfeld einfach so übertragbar ist. Weiterhin ist damit auch noch nicht zwangsläufig etwas darüber ausgesagt, ob andere Strukturen in der Wissenschaft, wie z. B. die Beobachtung, dass Editorial Boards von männlichen Forschern dominiert sind oder die Beiträge in Sammelbänden mehrheitlich von Männern stammen – Stichwort “Manthologies”, also Sammelbände mit nur männlichen Autoren – dadurch abgemildert werden.

Was bedeutet das für das Fach Judaistik? Werden Themen dadurch stärker akzentuiert während andere zurückstehen? Bei welchen Themen spielt der Gender-Ansatz eine Rolle? 

Ich denke, man muss sich zunächst vor Augen führen, dass das Fach Women`s Studies ausgehend von den Entwicklungen in den Vereinigten Staaten aus der Frauenbewegung hervorging. Und das beförderte wiederum die Entstehung der Gender Studies. Aus dieser Entstehungsgeschichte ergibt sich der Anspruch, dass es bei der Erforschung und Sichtbarmachung weiblicher Lebenswelten in der Regel um mehr geht als die bloße Ergänzung der „Männergeschichte“. Mit Blick auf die Erforschung jüdischer Lebenswelten gilt es wiederum zu reflektieren, dass die gewählten Themenschwerpunkte sicherlich durch die Auseinandersetzung mit der Frage geprägt sind, welche Konsequenzen die Tatsache, dass das halachische Judentum das Patriarchat religiös begründete, für weibliche Lebenswirklichkeiten hatte. Weiterhin rücken bei Studien zur Frauengeschichte schnell die Implikationen einer doppelten Marginalisierung als zweites Geschlecht und Angehörige einer religiösen Minderheit in den Fokus .

In welchen thematischen Feldern in der Judaistik gibt es dahingehend eher wenig Berührung mit Genderperspektiven? Und welchen Mehrwert könnte da ein stärkerer Fokus darauf haben?

Mein Eindruck ist, dass es inzwischen sehr viele Themen gibt, bei denen weibliche Lebenswelten im Blickpunkt der Forschung stehen, was wiederum nicht bedeuten muss, dass immer eine Genderperspektive ausgebildet wird. Das Themenfeld Frauen im Holocaust ist dabei sicherlich das prägnanteste Beispiel dafür, dass sowohl die Diskussion um die methodischen und theoretischen Implikationen eines Gender-Ansatzes als auch die um seinen grundsätzlichen Mehrwert und seine allgemeine Akzeptanz noch lange nicht zu ihrem Ende gekommen ist. Allgemein gesprochen ergibt sich das sichtbarste Ungleichgewicht aus meiner Sicht, wenn es zur Einordnung von Forschungsperspektiven kommt. So werden die Lebens- und Erfahrungswelten von Frauen häufig eigens thematisiert, was natürlich zu begrüßen ist, da die Forschungen so vorangetrieben werden. Dennoch ist es auch ein Beleg dafür, dass es sich in der Wahrnehmung weiterhin um ein spezielles, von der allgemeinen Geschichte isolierbares Thema handelt.

Eine Frage zum Schluss: Wenn wir 10 Jahre vorausdenken, was hat sich ausgehend von heutigen Entwicklungen im Bereich Gleichstellung geändert und was muss sich bis dahin ändern?

Es ist wohl keine zu gewagte Aussage zu behaupten, dass uns in allen Bereichen noch Arbeit bevorsteht. Bedarfserhebung und die Schaffung eines Bewusstseins dafür, wo Geschlechtergerechtigkeit fehlt, gehen dabei Hand in Hand und stehen im Zentrum. Es darf keine idealistische Hoffnung sein, dass Sichtbarmachung und diskursive Aushandlungsprozesse um den Mehrwert von Geschlechtergerechtigkeit sich nicht positiv auf die Akzeptanz von Gleichstellungsarbeit auswirken. Diesen Prozess auch durch quantitative Zielvereinbarungen voranzutreiben, mag für manche noch immer unangenehm sein. Es ist jedoch sicherlich eine gute Grundlage, um eine höhere Verbindlichkeit schaffen zu dafür Sorge zu tragen, dass die nächsten Jahre auch von einer fruchtbaren Diskussion um die qualitativen Ziele geprägt sein können.

Das Interview führte U. Plessentin