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INTERVIEW

70 Jahre „Wort zum Sonntag“ – Ein Plädoyer für die Pluralisierung (oder Abschaffung) religiöser Sendeplätze

Anlässlich des siebzigjährigen Jubiläums der ARD-Sendung „Wort zum Sonntag“, ist Tim Karis, der Wissenschaftliche Geschäftsführer des CERES, vom WDR für die Tagesschau, die Tagesthemen sowie vom Deutschlandfunk für die Sendung „Tag für Tag“ interviewt worden.

Das „Wort zum Sonntag“, das erstmals am 8. Mai 1954 ausgestrahlt wurde, ist nach der Tagesschau das zweitälteste durchgängig gesendete Format im deutschen Fernsehen. Darin äußern sich jeden Samstag u. a. Pfarrer, Priester und Theologinnen zu lebensweltlichen Themen, wobei häufig ein Bezug auf aktuelle Ereignisse und Entwicklungen gesucht wird. Bis heute steht den christlichen Kirchen die Sendezeit laut Rundfunk-Staatsvertrag zu – ihnen obliegt auch die inhaltliche Verantwortung.

Tim Karis hat sich wiederholt mit dem Zusammenhang von Religion, Senderechten und Medienregulierung auseinandergesetzt und in diesem Kontext auch mit dem „Wort zum Sonntag“ befasst. Karis spricht sich, angesichts einer zunehmend säkularen und religiös vielfältigen Gesellschaft dafür aus, Sendeplätze zu erweitern und zu diversifizieren. Die Sendung an sich sei, trotz ihres angestaubten Images, nicht das Problem. Vorrangig gehe es darum, dass Sendezeiten exklusiv den großen Kirchen und an anderer Stelle den jüdischen Gemeinden zugestanden werden, anderen Religionsgemeinschaften hingegen nicht. Dies sei nicht zeitgemäß und verzerrend. Komplexer werde die Gemengelage auch dadurch, dass das Programm nicht durch Kirchensteuern, sondern aus Rundfunkgebühren finanziert werde.

Den Kern des Problems identifiziert Karis darin, dass die Rechtsvorschriften, auf die der Sendeplatz zurückzuführen sei, kurz nach dem Krieg formuliert worden sind. Damals waren fast alle Deutschen Mitglieder einer der großen Kirchen und die Sorge vor einer zu großen Machtkonzentration im öffentlichen Rundfunk sei historisch bedingt noch allgegenwärtig und nachvollziehbar gewesen. Heute stelle sich die Situation grundlegend anders dar: Weniger als die Hälfte der Deutschen ist noch Mitglied in einer der Kirchen und es gibt eine Vielzahl von Menschen mit anderen religiösen Überzeugungen, insbesondere Muslime. Insofern dränge sich die Frage nach der Gleichbehandlung auf, wenn nur zwei Religionen exklusiv über das Fernsehen verkündigen dürften.

Karis weist auch darauf hin, dass sich die technischen Rahmenbedingungen verändert hätten. So gebe es heute eine Überfülle an Sendefrequenzen und das Internet biete zudem vielfältige Möglichkeiten für alle Religionen auf eigene Publikationsformate, sodass ein Sonderrecht für Religionen auf Sendezeit im Rundfunk ohnehin nicht mehr plausibel sei.

Für Tim Karis ergeben sich in der Konsequenz nur zwei Lösungsansätze: Entweder sollte das Drittsenderecht auf weitere Religionen ausgeweitet werden, wie es beispielsweise in den Niederlanden bis vor Kurzem und national schon jetzt in bestimmten Medien (BR, Deutschlandradio Kultur) praktiziert werde. Im Sinne der Gleichbehandlung der Religionen könne die Alternative nur lauten, die Drittsenderechte ganz abzuschaffen, was in den Niederlanden unterdessen geschehen sei.