Teilprojekt C01

Grammatik als religiöse Metapher

Im Fokus des Teilprojekts C01 „Grammatik als religiöse Metapher“ steht die Grammatik als Quelle, aus der Metaphern zur religiösen Sinnstiftung gewonnen werden. Grammatiker bedienten sich schon in der Antike einer metaphorischen Sprache, um linguistische Phänomene darzulegen. Viele dieser Metaphern haben sich als feste grammatische Fachtermini etabliert und sind somit zu lexikalisierten Metaphern geworden. Der in Nīšāpūr (eine Stadt im heutigen Iran) wirkende Rechtsgelehrte Abū l-Qāsim al-Qušayrī (986–1072) und der französische Theologe und Mystiker Jean Gerson (1363-1429) greifen in ihrem Œuvre solche lexikalisierten Metaphern auf, um sie in einem spirituellen Kontext auszulegen und damit zu revitalisieren. Beispielsweise deutet Jean Gerson in seinem Donatus spiritualis, einer mystisch-spirituellen Auslegung von Donats antiker Elementargrammatik Ars minor, den lateinischen Terminus casus, der in seiner Grundbedeutung ein räumliches Herabfallen bezeichnet, als Sünden‘fall’ (Von welchem Kasus (=‘Fall’) ist das Wort ‘peccator’ (=‘Sünder’)? Vom ‘Fall’ aus dem Zustand der Unschuld in den Zustand der Schuld) und gemäß den sechs lateinischen Kasus benennt er sechs Fälle (Teilschritte), bis eine Sünde letztlich begangen sei. Abū l-Qāsim al-Qušayrī legt in seinem Werk Naḥw l-qulūb (Die Grammatik der Herzen) ebenso die Kasus in einem religiösen Sinne aus. Das im Arabischen verwendete Wort für Nominativ – rafʿ – bedeutet sowohl ‚heben‘ als auch ‚entfernen‘. Dementsprechend schreibt er: Der Nominativ der Herzen könnte eintreten, indem du dein Herz vom Diesseits entfernst; das ist die Charakteristik der Asketen. Neben den eben genannten Werken liegen dem Teilprojekt weitere vormoderne Texte in lateinischer und arabischer Sprache zugrunde.
Ziel des Projekts ist es, anhand der konzeptuellen Metapherntheorie von George Lakoff und Mark Johnson nachzuweisen, wie Metaphern, die sich aus der Quelldomäne Grammatik speisen, zur religiösen Sinnstiftung in den vorher genannten Texten dienen.

Donatus spiritualis (Spirituelle Auslegung von Donat)

Zuständige Person: Johannes Steinbach

Mit seinem Traktat Donatus spiritualis reiht sich der französische Theologe und Gelehrte Jean Gerson (1363–1429) in die jahrhundertelange Rezeption des antiken Grammatikers Aelius Donatus (etwa 310–380) ein, indem er die formale Anlage von Donats Ars minor, einer für junge Schüler gedachten Elementargrammatik, übernimmt und dort aufgeführte grammatikalische Termini (z.B. casus, declinatio, gradus comparationis) spirituell interpretiert, um christliches Handeln der Menschen – sowohl untereinander als auch Gott gegenüber – zu explizieren. Grammatik ordnet Sprache und ist insofern fundamental für das Gelingen verbaler intermenschlicher Kommunikation und somit des menschlichen Lebens. Während Donat offensichtlich an einer nüchternen, systematischen Analyse der Funktionsweise der (lateinischen) Sprache gelegen war, so legt Gersons Donatus spiritualis den Interpretationsansatz nahe, die Ausübung des christlichen Glaubens, etwa das Praktizieren der Nächstenliebe, als non-verbales, universelles intermenschliches Kommunikationsmedium anzusehen, durch das das menschliche Leben letztlich erst gedeihen kann.Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Cod.636 (f.184r)

Das Ziel des Teilprojekts Donatus spiritualis ist die Erstellung einer textkritischen Edition und Übersetzung samt thematischer Einführung und Kommentierung, da Gersons Donatus spiritualis bislang nur oberflächlich Gegenstand der Forschung gewesen ist. Dementsprechend liegen weder eine textkritische Edition noch eine deutsche Übersetzung vor. Insbesondere soll eruiert werden, wie Gersons Traktat in den historischen Kontext der Spiritualisierung von Grammatik einzuordnen ist: Hierzu können etwa Virgilius Maro Grammaticus (Epistolae, Epitomae) und Smaragdus von Saint-Mihiel mit seinem Donat-Kommentar als erste Vorläufer angesehen werden, die konkreten gattungsspezifischen Vorbilder Gersons, sofern es sie gibt, müssen aber erst noch bestimmt werden, wozu eine möglichst große Anzahl an mittelalterlichen Donat-Kommentaren durchgesehen werden soll. Mit Bestimmtheit lässt sich vorerst nur aussagen, dass Gersons Traktat kein Einzelfall einer Spiritualisierung von Donat ist, sondern es weitere als Donatus spiritualis überlieferte Traktate aus Gersons Zeit gibt, die auf Donats Grammatik(en) (Ars minor, Ars maior) beruhen. Es bleibt also auch zu erforschen, ob und, wenn ja, welche Zusammenhänge zwischen all diesen überlieferten Traktaten bestehen, wie weit verbreitet diese Art der Donatrezeption zu Gersons Zeit war und ob sich die Spiritualisierung von Donat als eigene Textgattung etwa durch Gersons Traktat etablieren konnte.
 

Naḥw l-qulūb (Die Grammatik der Herzen)

Zuständige Person: Dr. Vicky Ziegler

Mit der „Grammatik der Herzen“ legte der im 11. Jahrhundert wirkende muslimische Rechtsgelehrte und Esoteriker Abū l-Qāsim al-Qušayrī ein einzigartiges Regelwerk des klassischen Sufismus vor, in welchem er die grammatischen Regeln der arabischen Sprache, die den Muslimen als heilig gilt, auf die fromme Lebensführung eines Sufis überträgt. Der Sufismus ist dabei eine Glaubensströmung innerhalb des Islams, die häufig als eine mit der Mystik verbundene asketische Bewegung bezeichnet wird. Ziel eines Sufis ist, eine persönliche Bindung zu Gott unter anderem durch ekstatische Zustände aufzubauen.
Das im Titel verwendete arabische Wort für Grammatik – naḥw – ist eine lexikalisierte Metapher und bedeutet ursprünglich ‚Richtung‘ oder ‚Weg‘ im Sinne von Art und Weise. Dementsprechend kann der Titel sowohl als „Die Grammatik der Herzen“ als auch als „Der Weg der Herzen“ gelesen werden. Al-Qušayrī erklärt zu Beginn seines Werks, dass die Grammatik der Weg in der Sprache zum richtigen Sprechen sei und der Weg der Herzen der Weg zum Sprechen mit Gott. Mit dem Weg der Herzen meint al-Qušayrī konkret den Weg der Sufis, da das Herz im Sufismus als spirituelles Zentrum gilt. Die ‚Grammatik der Herzen‘ steht somit für den spirituellen Weg. Bursa İnebey Yazma Eser Kütüphanesi, 16 Ha 109/2 (f. 193v)
Das Hauptanliegen des Teilprojekts Naḥw al-qulūb (Die Grammatik der Herzen) ist es, aufzuzeigen, wie im Werk Analogien zwischen der Grammatik und Spiritualität hergestellt werden und wie die Grammatik als Quelldomäne zur Gewinnung von religiösen Metaphern dient. Als zentrale Methode zur Annotation der im Text auftretenden Metaphern und Analogien werden die Theorien des conceptual mappings und des conceptual blendings angewandt. Weitere Ziele des Projekts sind, den Text in die arabische Grammatiktradition und in die Geschichte des Sufismus einzuordnen, die Textgeschichte der „Grammatik der Herzen“ zu rekonstruieren und eine neue textkritische Edition des arabischen Texts sowie eine deutsche Übersetzung vorzulegen. Darüber hinaus werden weitere arabische Texte der Vormoderne einbezogen, in denen die scheinbar unvereinbaren Bereiche ‚Grammatik‘ und ‚Spiritualität‘ miteinander verbunden werden.
Das Teilprojekt „Die Grammatik der Herzen“ weist somit nach, wie durch grammatische Sachverhalte und insbesondere anhand von Metaphern eine religiöse Sinnbildung vollzogen wird, und wirft damit Licht auf einen kaum erforschten Bereich innerhalb der Islamwissenschaft.

 

Beteiligte Personen

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Prof. Dr. Reinhold Glei

Projektleitung

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44801  Bochum
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+49 234 32-22761 / -28761
reinhold.glei@rub.de
Foto von Dr. Vicky Ziegler

Dr. Vicky Ziegler

Wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in

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Foto von Johannes Steinbach M.Ed.

Johannes Steinbach M.Ed.

Doktorand*in

Universitätsstr. 150
44801  Bochum
Büro GB 2 / 147
Johannes.Steinbach@rub.de