Die Unabhängigkeit der Betä Ǝsraʾel im Simiengebirge und ihre Kriege mit dem Salomonischen Königreich
Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit lebte die jüdische Bevölkerung zumeist als Minderheit unter nicht-jüdischen Herrschern. Allerdings sind auch für diesen Zeitraum ein paar wenige Fälle von autonomen jüdischen Staaten bzw. unabhängigen staatsähnlichen Strukturen bekannt. Einer der faszinierendsten aber am wenigsten bekanntesten Fälle dürften die politisch autonomen Beta Ǝsraʾel (äthiopische Juden) im nordäthiopischen Simiengebirge sein. Mündliche Überlieferungen der heutigen Betä Ǝsraʾel verweisen auf dieses unabhängige Staatsgebilde als das „Königreich der Gideoniten“, benannt nach dem königlichen Namen, den einige ihrer Herrscher traditionell trugen: Gedewon (die äthiopische Version des biblischen Namens Gideon). Vom 15. bis zum 17. Jahrhundert waren die Beta Ǝsraʾel im Simiengebirge und ihr Umfeld in eine Reihe von Kriegen gegen das christliche Salomonische Königreich verwickelt, bis sie in den späten 1620er Jahren letztendlich unterworfen wurden. Die königlichen Chroniken der salomonischen Monarchen liefern detaillierte Darstellungen dieser Kriege, darunter auch Namen von Orten, an denen sich Wehrburgen der beiden sich bekämpfenden Seiten befanden. Zusätzliche Informationen zu diesen Kriegen und der politischen Unabhängigkeit der Beta Ǝsraʾel im Simiengebirge lässt sich ferner in vielfältigen anderen Quellen aus dem Mittleren Osten und Europa sowie in mündlichen Überlieferungen der Beta Ǝsraʾel finden.
Zwar existieren einige wenige historische Studien, welche die Kriege hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung der Beta Ǝsraʾel untersuchen, jedoch sind die geografischen Dimension dieser Kriege, die materielle Kultur sowie diverse Aspekte der generell unabhängigen Staatswesens der Beta Ǝsraʾel momentan noch größtenteils unbekannt. Tatsächlich gab es bisher dazu noch kaum archäologische Kampagnen im Simiengebirge und seinem Hinterland, einmal abgesehen von einer Untersuchung von jüdischen Klöstern im Rahmen des Forschungsprojektes JewsEast. Einige wenige monumentale Baustrukturen im Simiengebirge waren zwar schon Thema historischer bzw. kunsthistorischer Studien, doch der Großteil des Gebirges ist nach wie vor archäologisches Neuland.
Das Forschungsprojekt wird durch ein Stipendium der Minerva Stiftung finanziert. Es untersucht erstmalig die materiellen Zeugnisse und die geografischen Aspekte der politischen Autonomie der Beta Ǝsraʾel im Simiengebirge sowie ihre Kriege mit der Salmonischen Dynastie. Dabei soll der Charakter dieses unabhängigen Staatswesens erforscht werden indem auch das Zusammenleben zwischen den in ihm und seiner Umgebung angesiedelten unterschiedlichen religiösen Gruppen rekonstruiert wird. Im Mittelpunkt der Forschung steht dabei eine archäologische Untersuchung im Simiengebirge, die zum Ziel hat, die Überresten der im Kriege genutzten Wehrburgen sowie auch anderer Anlagen und Strukturen zu lokalisieren und zu erforschen, die Aufschluss über die Beta Ǝsraʾel geben. Die verschiedenen Darstellungen und Beschreibungen der schriftlichen Quellen werden dann im Hinblick auf die geografische Verortung der Schlachtfelder und anderer relevanter Orte sowie die während der Ausgrabungen freigelegten materiellen Zeugnissen, nochmals analysiert und überprüft.
Dabei sollen folgende Aspekte untersucht werden:
- die Merkmale und Beschaffenheit der Wehrburgen;
- die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Wehrburgen der Betä Ǝsraʾel und ihrer Nachbarstaaten;
- die Kampftaktiken, der jeweils sich bekämpfenden Akteure;
- die exakte Verortung und geografische Ausdehnung des autonomen Staatsgebildes der Beta Ǝsraʾel im Simiengebirge in den verschiedenen Phasen seiner Existenz;
- die Auswirkung der Autonomie der Beta Ǝsraʾel auf ihren Handel und Reisen im Simiengebirge sowie auf die Einwohner der Region, die nicht zu den Beta Ǝsraʾel gehörten;
- die Unterschiede in der materiellen Kultur zwischen den autonomen und nicht-autonomen Beta Ǝsraʾel.
Förderzeitraum
09.2020 – 08.2022