Aktive Muslime in Deutschland
Grenzziehungsprozesse und Legitimationsdynamiken im Kontext sozialer und zivilgesellschaftlicher Arbeit
In Anbetracht der vieldiskutierten Rolle von Religion, insbesondere des Islam im Kontext von Integration, Identität und Partizipation folgt das Dissertationsprojekt einem ressourcenorientierten Ansatz, welcher das Augenmerk auf die Potentiale und Leistungen von Muslimen und muslimischen Gemeinden richtet. Gegenstand der Untersuchung sind sozial und zivilgesellschaftlich engagierte Muslime in Deutschland, die durch ihre Gemeinwohlorientierung einen Beitrag zur außerstaatlichen sozialen Arbeit leisten und die Zivilgesellschaft stärken. Ein spezieller Fokus wird dabei einerseits auf die sozialethischen Begründungen, andererseits auf die Handlungsopportunitäten der Akteure durch ihre Einbettung in verschiedene soziale Kreise gelegt, welche ein solches Engagement prägen, bzw. davon geprägt sind. Der zugrundeliegende sozialkonstruktivistische Ansatz (Berger/Luckmann 1969) geht davon aus, dass die soziale Wirklichkeit durch das Handeln von Menschen in einem dynamischen Prozess immerfort neu konstruiert und reproduziert wird, es also keine starren und unveränderbaren Entitäten gibt, an denen sich das Handeln ausrichtet. Eine solche Sichtweise wirkt essentialistischen Vorstellungen beispielsweise von Muslimen, ihrem Glauben, sowie kulturalistischen Zuschreibungen je nach Herkunftsland entgegen. Des Weiteren lehnt sich das Vorhaben an Theorien sozialen Kapitals (Putnam 2000; Nan Lin 2001; Bourdieu 1983) an. Ein solcher Ansatz geht davon aus, dass Akteure über ihre Einbettung in soziale (und religiöse) Netzwerke Zugang zu Ressourcen (Unterstützung, Hilfe, Anerkennung, Wissen, Arbeitsmöglichkeiten, usw.) erhalten. Eine akteursnahe Logik begründet die empirische Herangehensweise an die theoretische Frage, inwiefern sich das religiöse Weltbild und die Eingebettetheit der Akteure in soziale Netzwerke gegenseitig beeinflussen und prägen.
Frage: Worum geht es?
Die Arbeit im Kontext aktiver Muslime geht der Frage nach, inwiefern sich eine islamische Sozialethik auf soziale und zivilgesellschaftliche Aktivitäten auswirkt und welche Rückwirkungen wiederum solche Aktivitäten auf die sozialethischen Vorstellungen und sozialen Beziehungen haben. Im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu verschiedenen sozialen Kreisen spielen auch diverse Grenzziehungsdynamiken eine Rolle, welche das eigene Handeln von dem anderer abgrenzen und dadurch auch legitimieren. Sozial und zivilgesellschaftlich aktive Muslime werden dabei auf zwei Ebenen beobachtet, einer individuell-sinnhaften Mikro-Ebene und einer gemeinschaftlich-funktionalen Meso-Ebene. Unter dem individuellen Kontext werden die Ausprägung der persönlichen Religiosität und die damit zusammenhängende sozialethische Legitimation für Handlungen, sowie auch nichtreligiöse Engagementmotive subsumiert. Unter dem gemeinschaftlichen Kontext werden die Beziehungen innerhalb sozialer und religiöser Netzwerke und darüber hinaus sowie die daraus resultierenden Handlungsoptionen verstanden.
Methode: Wie gehe ich vor?
Die qualitative empirische Studie gewinnt durch eine Kombination verschiedener methodischer Zugänge neue Erkenntnisse über den dynamischen Handlungsbereich von aktiven Muslimen in Deutschland. Zum Sample der sozial und zivilgesellschaftlich aktiven Muslimen zähle ich Menschen, die sich erstens mit einer Form des Islam identifizieren, die zweitens in eine religiöse Gemeinschaft eingebunden sind und sich drittens im sozialen oder zivilgesellschaftlichen Bereich (Jugendarbeit, Bürgerinitiativen, Vereine und Verbände, Gewerkschaften, und u. U. auch Parteien) außerhalb ihrer religiösen community engagieren. Vorausgesetzt wird weiter ein Austausch mit anderen Muslimen und Nichtmuslimen über Glauben und Engagement. In narrativen Interviews wird die Frage erörtert, inwiefern soziale und zivilgesellschaftliche Phänomene in Deutschland islamisch konnotiert werden, Islam also als Motivator, Deutungs- und Legitimationshorizont für ein spezielles Engagement aktiviert wird. Auch die Ausprägung der individuellen Religiosität sowie Persönlichkeitscharakteristika werden hierbei thematisiert, um den Zusammenhang zwischen Religiosität und Engagement zu ergründen. Den zweiten Zugang leistet eine ego-zentrierte Netzwerkanalyse. Hierbei werden gemeinsam mit den Interviewpartnern digitale Netzwerkkarten erstellt, die Aufschluss über die verschiedenen Beziehungen und Beziehungsarten der Akteure und den mit ihnen vernetzten Alteri geben. Eine solche pragmatisch relationale Perspektive ermöglicht Aussagen über die Einbettung der Akteure in ihre sozialen Netzwerke, ihre Abgrenzungen gegenüber verschiedenen Anderen (Wimmer 2008; Alba 2005; Lamont/Molnár 2002) und die dabei wirkende Dynamik zwischen verschiedenen sozialen Beziehungskontexten. Die Datenerhebung, sowie die Datenauswertung geschieht in Anlehnung an den Forschungsstil der Grounded Theory (vgl. Strauss; Strübing 2008), die Interviews werden thematisch codiert (Kuckartz 2010, Hopf/Schmidt 1993) und mit einer qualitativen sozialen Netzwerkanalyse (Hollstein 2006) verknüpft. Zusammenhänge zwischen der sozialen Einbettung und dem individuellen legitimatorischen Hintergrund der Akteure werden in einer Typologie sozial und zivilgesellschaftlich aktiver Muslime konsolidiert.