Im Zuge der globalen Umbrüche am Ende der 1980er Jahre hat der Begriff „Diaspora“ eine erweiterte – wenn auch umstrittene – Bedeutung erlangt. Immer mehr Gruppen, die sich vorher selbst als ethnische oder religiös-kulturelle „Minderheiten” im Kontext unterschiedlicher Nationalstaaten lokalisiert hatten, definieren sich heute als Bestandteile weltweiter Diaspora-Netzwerke. Gleichzeitig rückten Untersuchungen zu Diasporen in den Fokus des sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungsinteresses. Der Schwerpunkt dieser Forschungen lag zunächst vorwiegend auf Fragen der Genese und Persistenz von Diaspora- Identitäten, sowie auf Fragen der Identitätspolitik. Diese Themen bilden seit Mitte der 1990er Jahre einen wichtigen Schwerpunkt der Forschung (und Lehre) am Hamburger Institut für Ethnologie. Mit zahlreichen Abschlussarbeiten, Publikationen und Konferenzen zu Identität und Identitätspolitik in der Diaspora kann diese Forschungsphase inzwischen als erfolgreich beendet angesehen werden.
Unter dem Titel „Diaspora as a Resource“ besteht seit 2006 ein neuer Schwerpunkt unserer Diasporaforschungen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass bestimmte Diasporen in Geschichte und Gegenwart signifikante Beiträge im ökonomischen, kulturellen und politischen Bereich geleistet haben (und leisten), und damit eine Ressource für ihre Herkunfts- und für ihre Residenzländer darstellen. Insbesondere in Zeiten ökonomischer oder soziokultureller Transformation spielen Diasporen in vielen Fällen die Rolle einer gesellschaftlichen Avantgarde. Durch vergleichende ethnologische Fallstudien sollen Fragen der sozialen und ökonomischen Organisation von Diasporen, sowie die Bedingungen für deren Erfolg systematisch ermittelt werden. Durch die Gegenüberstellung von „alten“ und „neuen“ Diasporen und den deutlichen Schwerpunkt auf Faktoren des Erfolgs, ist dieses Projekt auch als Kritik an einem einseitigen Verständnis von „Diaspora“ als „Opfer“ gewaltsamer Zerstreuung zu verstehen.
Nach einem allgemeinen Überblick über den Stand der Forschungen und über die theoretischen Konzeptionen unserer Projekte stellt dieser Vortrag (ca 45 min.) Faktoren des Diaspora-Erfolgs an ausgewählten ethnographischen Beispielen vor. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Faktor „Urbanität“ und der historischen und gegenwärtigen Bedeutung von „Diaspora-Städten“.